VATM: Auch Digitalministerium darf kein Tabu sein

Köln, 05.02.2020. „Um bei der Digitalisierung in Deutschland voranzukommen, benötigen wir auf politischer Ebene eine deutlich stärker koordinierende Institution, die zudem in der Lage ist, extrem wichtige fach- und ressortübergreifende Effekte besser zu erkennen“, fordert Jürgen Grützner, Geschäftsführer des VATM. Aktuell wird intensiv debattiert, ob die Einrichtung eines Digitalministeriums oder einer Digitalagentur erforderlich ist.

„Wir brauchen den Blick über den Teller- oder wohl besser Ressortrand hinaus und müssen raus aus dem heute noch weit verbreiteten Silodenken einzelner Ministerien. Der Nutzen von Digitalisierung besteht gerade in den völlig neuen Vernetzungen von Daten aus verschiedenen Lebenswelten. Dass Digitalisierung in einzelnen Ressorts nicht ganzheitlich gedacht wird, zeigt auch aktuell das Beispiel Glasfaserausbau, der unstrittig Grundlage für alle Digitalisierungsfortschritte in Deutschland ist. Viel Geld wird hier in bürokratische Förderverfahren gesteckt, die einseitig den Tiefbau im Blick haben“, kritisiert Grützner: „Das Bundesverkehrsministerium bemisst den Erfolg in `Buddel- und Grabekilometern´ und Homes Passed statt einer bürgerfreundlichen Nachfrageförderung und echten Homes Connected, also von Endkunden genutzten Anschlüssen.“

Weiter steigende Tiefbaupreise und teure Netze, die oft nicht einmal zur Hälfte genutzt sind, seien die Folge. Eine Digitalisierungsprämie zur Nachfragesteigerung könnte aber pro Kilometer Tiefbau 50 Prozent mehr Kunden und damit entscheidenden Nutzen für die zukünftige Digitalisierung bringen. „Ein Digitalministerium oder eine Digitalagentur könnte, wo nötig, eine steuernde Funktion einnehmen, ohne dass den einzelnen Ressorts ihre Zuständigkeiten entzogen würden“, so der VATM-Geschäftsführer.

Ganz im Gegenteil: Digitalisierung ist ein Querschnittsthema und muss daher aus Sicht des VATM in allen Politikfeldern vorangetrieben werden. „Aber die Erfahrung zeigt, dass Silodenken auch Probleme bei einer gesamtheitlichen Bewertung von Risiken und Nutzen bringt“, mahnt Grützner. Das zeige sich beispielsweise auch deutlich im Daten- und Verbraucherschutz. Hier dürften auf keinen Fall eindimensional mögliche Risiken im Vordergrund politischen Handelns stehen. Ebenso müssen die Chancen der Digitalisierung und neuer innovativer datenbasierter Dienste besser verstanden werden und Nutzen und Risiken für die Bürger ressortübergreifend besser abgewogen werden. „Pauschale Verbote von zweijährigen Kundenverträgen sind das beste Beispiel gefährlich einseitiger Risikobetrachtungen, die zumindest im Telekommunikationsbereich dank umfassender Transparenz und bestehender Kundenschutzregelungen völlig unberechtigt sind“, so Grützner. Schlimmer noch, Verbote gingen nicht nur nachweislich an den Interessen der allermeisten Kunden vorbei, sondern würden sogar Investitionen in Glasfaserausbau und Digitalisierung erschweren.

SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat bei ihrer Ablehnung eines Digitalministeriums zwar richtig feststellt, dass Digitalisierung „längst kein Thema mehr für die Nische“ ist. Digitale Nischenlösungen und der fehlende Blick auf ressortübergreifende Digitalisierungspotentiale – das zeigt die Vergangenheit – werden aber gerade zum Problem. „Digitalisierung muss in ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Gesamtheit erkannt und auf Augenhöhe an den Kabinettstisch geholt werden“, sagt der VATM-Geschäftsführer. Die zahlreichen bereits vorhandenen Instanzen wie Digitalkabinett, Digitalrat, Enquete-Kommission etc. führen immer noch zu einer Zerfaserung der Digitalpolitik. „So geht wichtige Zeit für die Digitalisierung des Landes verloren, und wir werden technologisch weiter abgehängt statt aufzuholen“, warnt Grützner.

In mehreren europäischen Ländern und Bundesländern wurden und werden Digitalministerien eingerichtet, die durchaus erfolgreich arbeiten. „So überkommen und `aus den 80er Jahren gefallen´ – wie Saskia Esken kritisiert hatte – kann dieses Instrument also nicht sein“, unterstreicht Grützner. Nicht zuletzt hatte sich das seinerzeit SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium schon im Sommer 2017 für eine Digitalagentur ausgesprochen. Auch im Koalitionsvertrag wurde die Prüfung einer solchen Behörde vereinbart.


Quelle: VATM